Dem Himmel so nah… Erlebnisbericht Caroline Schneider bei der Skitour Jungfrauregion 18. 04. 2018

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Dem Himmel so nah…

Unbarmherzig reisst mich mein Satellitenwecker um 4 Uhr aus dem Tiefschlaf. Eingekuschelt im weichen Daunenduvet kann ich mir nicht vorstellen, dass ich heute auf dem knapp 3’800 Meter hohen Louwihorn inmitten einer weissen Pracht stehen werde. Mein Respekt vor dieser Höhe ist gross. Ich stelle mir alle Schreckensszenarien vor: von Erbrechen über pochende Kopfschmerzen bis hin zur Ohnmacht. Und trotzdem hat mich etwas Stärkeres in mir dazu gebracht, mich für diese Tour anzumelden. Doch was mir im Moment noch mehr Sorgen bereitet ist meine Magendarmgrippe, die mich gestern übermannt hat. Zum Morgenessen schlucke ich gleich zwei Immodium und eine Banane. Die restlichen vier Bananen wandern in den Tourenrucksack. Halleluja!

Alles liegt noch im Tiefschlaf, selbst die Vögel sind noch stumm, als ich mit der ganzen Materialschlacht zum Bahnhof taumle. Die anderen Teilnehmenden nehme ich kaum wahr. Ich versinke sogleich im Rücksitz und lasse mich durch Urs‘ ruhigen Fahrstil wieder zurück in den Schlaf gleiten. In Interlaken ist definitiv Schluss mit schlafen. Oben auf dem Jungfraujoch angekommen, tauchen wir ein in den asiatischen Massenstrom. Wie Lemminge strömen sie unzertrennbar im Einheitsmarsch nach draussen. Wir steuern auf die nächste Bar zu. Ich bräuchte dringend einen Kaffee. Doch das Gerumpel in meinem Magen mahnt mich eines Besseren. «Einen Pfefferminztee, bitte.» Ich steige ins «Klettergschtältli» und sende ein Stossgebet zum Himmel. «Bitte mach, dass ich keine Durchfallattacke habe und ich mir dieses Klettergschtältli mitsamt Karabiner und Reepschnüren nicht vom Leib reissen muss.» Präventiv lege ich mir ein weiteres Immodium unter die Zunge.

Nach einer kurzen Abfahrt montieren wir die Felle. Plato erklärt: «Jetzt gehen wir gaaanz langsam, sonst ist in Kürze Ende Feuer.» Ich reihe mich ein und gehe hinter Christian her. Platos Tempo wirkt Wunder. Alle meine Sorgen verfliegen mit jedem Schritt mehr und mehr. Immerzu blicke ich auf den gelben K2 Ski vor mir und richte meinen Schritt genau auf Christians Schritt aus. Das wirkt wie ein Sog und ich verfalle beinahe in Trance. Und immer wieder gleitet mein Blick über die hohen weissen Berge, die noch weisser erscheinen durch den Kontrast des blauen Himmels. Von der befürchteten Höhenkrankheit ist weit und breit keine Spur und auch mein Magen bleibt ruhig. Auch die Gruppe ist still. Jeder hängt seinen Gedanken nach und scheint in seiner eigenen Welt zu versinken. Diese gemeinsame Stille hat etwas Verbindendes. Langsam nähern wir uns dem Gipfel. Der Wind dreht auf. Oben erfolgt das obligate Ritual: Eine Orgie an Gratulationen und Küssen. Es ist überwältigend, auf dieser Höhe zu stehen, umrundet von diesen majestätischen Berg-Kolossen, die schon seit Millionen von Jahren dastehen und uns Geschichten erzählen könnten, für die wir keine Worte finden würden. Doch bevor meine Gedanken weiter ins Philosophische abzudriften drohen, gibt Plato das Zeichen zum Aufbruch. Schnell noch eine Banane reinschieben. Und dann folgt eine schier endlose Abfahrt durch endloses Weiss. Es ist wie Fliegen und einem Gefühl, dem Himmel ein Stück näher zu kommen. Es scheint mir fast unmöglich, dieses Panorama in so kurzer Zeit aufzusaugen.

Unsere Gruppe ist in einer komfortablen Situation: vier Tourenleiter sind dabei – man fühlt sich mehr als aufgehoben. Während Plato voraus fährt, behält Alois den Überblick und merkt sofort, wenn jemand seine Aufmerksamkeit benötigt. Urs bildet das Schlusslicht und ist verantwortlich dafür, dass der Letzte den Anschluss behält. Mit voranschreitender Zeit und stärker werdender Sonneneinstrahlung wird der Schnee klebriger und schwerer. So auch ich. Es kommt der Moment, wo ich stürze. Es dauert nur ein paar Sekunden und Alois steht neben mir. «Die Feuerwehr ist schon da», sagt er aufmunternd, legt den abgefallenen Ski zurück in die richtige Position und hilft mir aufzustehen. Ich komme mir vor wie die Schneekönigin persönlich. Und so sorgt dieses Quartett dafür, dass alle glücklich und heil unten in Blatten ankommen. Was für ein Tag! Ich bin überglücklich.